Macht aktuelle Wirtschaftsbildung erfolgreiche Unternehmer?

Haben Sie schon mal die Lehrbücher Ihrer Kinder, Enkel, oder jene Ihrer jüngsten Mitarbeiter gesehen? Haben Sie mal einen Blick auf den Lehrplan der betriebswirtschaftlichen Fächer geworfen? Allgemeine Betriebswirtschaftslehre. Was glauben Sie, würde man heute noch danach ein Unternehmen organisieren und in die Zukunft führen? Was von all der Theorie nutzen jene Unternehmer noch, die heute mit Erfolg beinahe jede angestammte Industrie erschüttern?

Most of the essential tools and techniques of modern management were invented by individuals born in the 19th century, not long after the end of the American Civil War. (Gary Hamel)

Verstehen Sie mich nicht falsch. Erfolgreiche Unternehmen betreiben ein fundiertes Finanzsystem. Buchhaltung und Bilanzierung (mal abgesehen von nicht wertschöpfenden Bilanztricksereien) und vor allem zuversichtliche Aussagen über die Liquidität gehören zu jedem funktionierenden Betrieb. Aber schon wenn Sie den Blick auf die Kostenrechnung, auf Annahmen über Investitionen und Finanzierung werfen, wirds spannend. Inwiefern vertragen sich langjährige Annahmen über Einzahlungsüberschüsse, über einen Return on Invest noch mit exponentiell steigender Volatilität und Komplexität unseres Wirtschafts- und Gesellschaftslebens? Mal ehrlich, haben Sie als gestandener Betriebswirt im Jahre 2001 eine gute Finanzentscheidung über Ihre Services im e-Business getroffen? Ist Ihre Strategie von damals heute immer noch so belastbar?

Management-Wissen wurde längst runderneuert

Werfen Sie doch mal einen Blick auf die Beyond Budgeting Bewegung, die bereits vor Jahren erkannt hat, dass der jährliche Budgetierungskreislauf nicht nur unendlich viel Zeit in den Organisationen vergeudet, wichtige Entscheidungen lähmt oder gar verhindert, sondern schon allein in seinen Prinzipien absurd ist. Unternehmen wie Svenska Handelsbanken, Statoil, DM – um nur ein paar zu nennen – haben gezeigt, dass man mit frischen Konzepten des Beyond Budgeting adaptiver am Puls der Zeit arbeitet, sich viel Zeit und Kosten spart, und daneben noch den Wettbewerb ausstechen kann.

Oder wie würden Sie die unterschiedlichen Alternativen bewerten, nach denen man eine Linienorganisation formulieren kann? Kästchen in allen Varianten geometrisch u das Epizentrum der Macht angeordnet, das eigentlich viel weniger mächtig ist, als es dort aufgemalt ist. Und wie stehts mit längfristigen Geschäftsplänen, aufwendigen Marketingprogrammen, oder dem Unwort “Human Ressource Management”? Ganz abgesehen von plumpen und den Fähigkeiten von Menschen unwürdigen Praktiken der sogenannten jährlichen Performance-Zuschreibung (gerade hat Accenture, eines der weltweit größten Beratungshäuser, bekannt gegeben, dass es diese sinnbefreite Zeitverschwendung ab sofort über Bord wirft).

We can not solve our problems with the same level of thinking that created them. (Albert Einstein)

Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich möchte nicht in Abrede stellen, was in den letzten 100 Jahren zu Wohlstand geführt hat. Aber ich bezweifle, dass die heutigen Herausforderungen an Wirtschaftsleute sich auch nur annähernd mit dem decken, was die Unternehmer und Industriellen vor 100 Jahren beschäftigt hat. Die weltweite Vernetzung, Kommunikation und Zusammenarbeit, digitale Technologien und Dienstleistungen, die sich alle 2-3 Jahre erneuern, ein weiter zunehmendes exponentielles Wachstum. All das fordert auch in der Bildung völlig neue Inhalte und Herangehensweisen.

Why should it be normal, that we pull out business (strategy) tools from 1985, as if the world had not changed? (Alex Osterwalder)

Kommt ein Absolvent heute aus einem Wirtschaftsstudium (vielleicht passt ja nicht mal mehr dieser Begriff), so sollten Themen wie anwendbare Konzepte zur Komplexitätstheorie, angewandte Produkt- und Service-Innovation, nachhaltige Gestaltung selbstorganisierter Strukturen, Führungssysteme für hierarchiebefreite Organisationen, adaptive Change-Methoden, Creative Problem Solving, moderne unternehmensweite Lernsysteme und noch viel mehr zum 1×1 des Gelernten gehören. Ach ja, zu all dem natürlich auch die ganzen Buzzwords wie Scrum, Kanban, Lean Startup, Design Thinking etc. – damit man das mal gehört hat, was längst in keine Schubladen mehr rein passt. Denn heute wird das verwendet, was gerade Sinn macht. Und da wird durchaus auch immer wieder mit Neuem experimentiert und Neues geschaffen.

Aber noch viel mehr: Wirtschaftstreibende für eine neue Gegenwart und andere Zukunft sollten in erster Line ein neues Verständnis über Systeme mit sich bringen. Da geht es zunächst mal darum, die Menschen in den Mittelpunkt zu rücken. Ob Kunden, Mitarbeiter, Partner – diese Grenzen verschwimmen, hier folgt schon längst nichts mehr den alten starren Mustern der BWL. Statt überholter Schubladisierung braucht es Co-Creation. Es geht um echte Bedürfnisse, um Werte, um ein kreatives Wechselspiel mit immer neuen Herausforderungen. Und über Inhalte hinaus, gehts natürlich um ein völliges neues Verständnis in der Handhabe von Bildung selbst. Es geht um Haltungen und Prinzipien, wonach heute Gelerntes der Staub von morgen ist. Denn übersehen wir doch bitte nicht, dass wir z.B. auch im sogenannten agilen Umfeld (das ehemals Neue) längst mitten im Wandel hin zu Next Generation Agile stehen (lesen Sie dazu künftig hier und in weiteren Blogs vieles mehr von mir). Wirkungsvolles Wissen über das Wirtschaften ist also kaum auf konkrete Inhalte einzuschränken. Was zählt, ist die Offenheit für zielorientiertes Experimentieren, für ein vernetztes Lernen, ein permanentes Infragestellen und Neudenken.

Ein Ausblick, oder besser: ein aktueller Einblick

Verstehen Sie mich nicht falsch. Es wird für manche Unternehmen noch eine ganze Weile auch ohne das Zeug weiter gehen. Je nach Kapitalausstattung mehr schlecht als recht. Denn die Zahl der motivierten Mitarbeiter wird schrumpfen. Die Zahl der motivierten Neuankömmlinge ebenso. Und dann bleibt nur mehr die Frage, ob die “Jungen Wilden” zukunftsorientierter Wirtschaftssysteme noch das Ruder herum reißen, oder gleich selbst neu gründen.

Dann bleibt die Frage, wann sich die Bildungssysteme mit dem Faktischen auseinandersetzen und zumindest die Lehrpläne der wirtschaftsorientierten Fächer zu 70% in optionale Freifächer umwandeln und vor allem Aktuelles an Bord bringen. Verstehen Sie mich nicht falsch. Aber ich glaube tatsächlich, dass mehr als 70% des heutigen Wirtschaftscurriculums ausgedient hat und eher in die Geschichtsbücher zu verlagern ist. Ob diese Art der Bildung dann noch an Hochschulen stattfindet, bleibt abzuwarten. Selbst Fachhochschulen scheinen auf Grund der Spezialisierung fast schon zu eng aufegestellt und vermitteln ebenso wenig ausreichende Flexibilität. Innovative Weiterbildung holt man sich heute bereits unterwegs von renommierten Häusern, wie der Standford University, Harvard, dem MIT oder Online-Angeboten wie z.B. Udemy, Coursera ins Haus. Hohe Qualität, teilweise sogar kostenfrei, zu jeder Zeit und an jedem Ort.

Verstehen Sie mich nicht falsch. Es ist bestimmt nicht alles nur schwarz oder weiß. Aber vieles in heutigen Bildungseinrichtungen wird wohl ebenso wenig den stattfindenden Disruptionen weiter standhalten können, wie so einige einstmals unerschütterlich eingestufte Branchen oder Unternehmen.

Und wie schätzen Sie so die Lage zur Wirtschaftsbildung ein?

Mike Leber
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