Komplexität – leider oft diffus mit zwar modebewussten, aber weniger hilfreichen Zugängen

Mittlerweile hat es sich herumgesprochen, dass wir im Zeitalter der Komplexität leben. Auch wenn es unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, was das eigentlich konkret bedeutet. Es ist nicht anzunehmen, dass sich der Grad an Komplexität wieder reduzieren wird (aber das ist eine andere Geschichte). Fest steht, jene Zeit, in der uns das bessere Verstehen aufwendiger Konzepte sicher ans Ziel geführt hat, ist vorbei. Es genügt wohl nicht mehr, sich einfach besser zu qualifizieren, härter zu arbeiten. “Wir müssen bloß schneller und härter arbeiten, dann sind wir schneller dort” – ein fordernder Spruch, der in dieser Form im heutigen Wirtschaftstreiben kaum mehr Sinn macht.

Allerdings gibt es sehr wohl erhebliche Unterschiede, welche Interpretation des Themas “Komplexität” zu welchen Schlussfolgerungen führt. Abschaffen von Hierarchien, Totsagen von Change Management bis hin zu neuartigen Geometrien des Organisierens. Möglicherweise gut gemeint. Wahrscheinlich jedoch ebenso wenig zielführend wie hilfreich. Aber vielerorts Zeichen fortgesetzter Ratlosigkeit. Denn es gibt schon seit recht langer Zeit Organisationen, die ihr Geschäft auch bei gestiegener Komplexität der Umwelten und Marktbedingungen hervorragend gestalten. In den meisten Fällen werden da nicht mal dramatisch neuartige Organisationformen erfunden. Auch der Managementfaktor (teilweise weiterhin in Verbindung mit hierarchischen Elementen) funktioniert weiterhin. Und selbstverständlich setzen sich diese Unternehmen sehr effektiv mit dem Thema Change Management auseinander.

Management ist ganz und gar nicht tot!

Abgesehen davon, dass ja ganz offensichtlich nicht alle Unternehmen in die herbeigeschriebene Krise tappen, gibt es endlose Beispiele für Komplexitäts-Champions. Viele davon wird man im eigenen Umfeld kennen. Aber denken wir bloß mal an jene Unternehmen, die als Pioniere der sogenannten “Digitalisierung” gelten, lange bevor findige Analysten und Berater sich diesen Begriff ausgedacht haben, um das zu verstehen, was schon lange Jahre vor sich ging. Google, Amazon, Facebook, nur ein paar plakative Beispiele, die vor 10-15 Jahren noch gar nicht richtig im Geschäft waren, oder erst ihr Wachstum in Angriff genommen hatten. Unternehmen, die auch mit traditionellen Mitteln weiter erfolgreich Wirtschaftsgeschichte schreiben. Vielleicht weil sie einen Teil dieser sogenannten Komplexität sogar selber mitgestalten. Da gibt es immer noch nützliche hierarchische Strukturen. Es wird mit Führungsrollen und -persönlichkeiten gearbeitet. Und es gibt ebenso begeisterte Mitarbeiter und auch Bewerber, die sich zu Tausenden vor den Toren dieser Unternehmen anstellen, um mitarbeiten zu können. Bedeutet also Komplexität wirklich den totalen Bruch mit bisher Bekanntem? Was wenn wir so wie die Digital-Giganten ganz und gar keine herbeigeredete Revolution bräuchten, sondern lediglich effektivere Formen des miteinander Gestaltens, Führens, Innovierens?

Management ist lebendiger denn je und fährt Ihnen um die Ohren!

Nun, natürlich entstammen die neuen digitalen Unternehmen einer frischeren Form der Unternehmenskultur. Ein wenig anders als die vielen Organisationen traditioneller Branchen, wenn auch “digital” nach beinahe 10 Jahren gar nicht mehr so neu ist, wie manche es erst jetzt entdecken. Der erfolgreiche Umgang mit Komplexität funktioniert jedoch auch in anderen Branchen. Bloß braucht es dafür mehr als Plattitüden und den Ausruf einer neuerlichen Weltrevolution. Ja, da sind schon mal Unternehmenskulturen und auch Menschen vorzufinden, die nach jahrzehntelanger Arbeit in einem trostlosen Gefüge nach Hilfe rufen. Sei es die Überlastung durch (teilweise sinnbefreite) Aufgaben oder der psychische Druck durch Reduktion von Menschen zur Humanressource. Dazu die Metapher des Unternehmens als Maschine und der längst überholten Idee von Über- und Unterordnung. Hier verliert sich die Diskussion über das Neue nur allzu oft. Durchaus therapeutische Fälle und Anliegen vermischen sich mit teils romantisch verklärten Sichten auf trendige Zukunftshypes. Es scheint aber nicht unwesentlich zu betonen, dass wirtschaftliches Handeln weiterhin seine Gültigkeit hat und die neuen Formen des Arbeitens nicht automatisch alle Regeln ausser Kraft setzen.

Zukunft funktioniert für Lernende Organisationen

Wenn wir mal die neue Schule moderner Marktschreierei zur Seite lassen, stellt sich die Frage: was macht moderne Unternehmen in komplexen Umfeldern tatsächlich erfolgreich? Ganz bestimmt ist es nicht das Verwerfen ganzer Organisationsstrukturen, nicht die Abschaffung von Führungskräften und schon gar nicht die Abkehr von Management – ganz im Gegenteil! Erfolgreiche Unternehmen wie Google, Amazon, Facebook, aber auch die Unzahl rasch wachsender Startups verfügt sogar über recht ausgeprägte derartige Instrumente. Allerdings funktionieren die Instrumente auf Basis eines humanistisch geprägten Weltbilds, auf der Grundlage von Werten und dem Verständnis über Zweck. Struktur, Führung und Management stehen keineswegs im Widerspruch zu Übernahme von Verantwortung, Mitgestaltung und Beteiligung. Hier geht es vielmehr um fundierte Differenzierung nach dem situativen Befinden unterschiedlicher Organisations- und Menschentypen, als um ahnungslose Gleichmacherei. Die proaktive Bearbeitung von Themen wie z.B. Veränderung, Kultur, Vertrauen, Macht, Leistung, Motivation, Geld sind hier kein Tabu mehr. Aber es gibt kein neues Generalrezept, sondern die Annahme, dass nur ein inviduelles und fortwährendes Explorieren und zielgerichtetes Experimentieren ein wesentliches Weiterkommen bringen wird.

Komplexität meistern bedeutet vor allem: schneller erkennen, besser entscheiden und effektiver handeln

Damit aber nicht genug. Erfolgreiche Unternehmen meistern den Umgang mit Komplexität nicht nur um ihrer selbst Willen. Ihnen ist vor allem klar, welchen Zweck sie erfüllen wollen (in zumeist wirtschaftlich orientierten Umfeldern). Sie sind sowohl in der Lage bestehende oder gar neue Märkte, Kunden und deren Potentiale zu erkennen, wie auch im jeweiligen Kontext geeignet zu handeln. Dafür nutzen sie moderne Managementtechniken, mit Hilfe derer Sie bestehende Geschäfte perfektionieren (irgendwoher kommt ja das Geld für den heutigen Erfolg!) und die Exploration nach neuen Geschäften betreiben (Neuerfindung der Zukunft).

Dies funktioniert kaum durch willkürlichen Bruch mit traditionellen Mustern, gleichsam wie es pubertierende Jugendliche einfach um des Widerspruchs gegen bekannte Formen Willen angehen müssen. Nein, hier handelt es sich vorwiegend um reife Organisationen, die zunehmend die Balance zwischen bekanntem und unbekanntem Terrain beherrschen.

Adaptive Organisationen praktizieren Modernes Management

Blue Prints, Best Practices und Neue Weisheiten werden uns kaum weiter bringen. Es sind immer noch dieselben Prinzipien für eine individuelle Gestaltung des eigenen Geschäfts! Effektives Lernen und wohlüberlegtes Handeln quer durch die Organisation und in enger Beziehung zu unseren Kunden.

Diese Unternehmen verstehen es, Lernprozesse zu gestalten, sich in völlig neuen Umfeldern hypothesen- und feedback-basiert weiter zu entwickeln, neue Märkte zu schaffen und sich dabei selbst neu zu definieren. Neben ihrer kulturellen Fitness für einen neuartigen Wettbewerb unter gesteigerter Unsicherheit, verfügen sie über ein sensibles Handwerkszeug, das sie hoch effektiv mit differenziertem Risiko, mit Optionen und fundierten Entscheidungen sowie mit komplex verzahnten Services arbeiten lässt. Dabei entstehen liquide Organisationen, die vor allem stichhaltige Entscheidungen bei Unsicherheit treffen können und letztlich ebenso wirksam in die Tat umsetzen können. Dies sind Organisationen, die sich des weitaus größeren Wirkungsfelds, nämlich jenes des Systems, angenommen haben und damit die im Dunkel der Hypes Umherirrenden hinter sich lassen.

Der Zugang zu Komplexität benötigt weniger Hype, als fundierte und wirksame Herangehensweisen, die Spitzenleistung im Speedracing neuer Märkte ermöglichen. Die Erfolgreichen glänzen weniger durch das “Überbordwerfen”, sondern hauptsächlich durch differenziertes Handeln. Und wie geht es Ihrer Organisation mit der Bewältigung von Komplexität? Wie stellen Sie sich für Ihre Zukunft auf? Folgen Sie noch Hypes, oder gehen Sie bereits Ihren eigenen Weg?

Mike Leber
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